Ob zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Prosperität und der Versorgungssicherheit im Güterverkehr oder bei der individuellen Mobilitätsfreiheit im Personenverkehr - die Straße ist und bleibt Deutschlands absoluter Hauptverkehrsträger. Gleichzeitig wachsen die Herausforderungen im Verkehrssektor, ob durch langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren, eine den aufkommenden Mehrkosten nicht entsprechende Finanzierung oder durch zu wenig Tempo beim Klimaschutz oder der Digitalisierung. Über diese und weitere Problemfelder zu diskutieren und den verkehrsinfrastrukturellen Dialog zu fördern, lud Pro Mobilität am 24. Mai 2023 zur öffentlichen Diskussionsveranstaltung „Deutschlands Hauptverkehrsträger - Ohne Straße geht es nicht!“ in die Landesvertretung Baden-Württemberg ein. Dabei wurde den rund 100 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Verbänden ein vielfältiges Programm geboten.
In seiner Begrüßungsrede betonte der Präsident von Pro Mobilität, Eduard Oswald, zunächst die Bedeutung der Straße als jetziger und zukünftiger Hauptverkehrsträger und wiederholte das Motto des Abends: „Ohne Straße geht es nicht“. Gut ausgebaute Straßen seien die Voraussetzung für das Funktionieren des gesamten Verkehrssystems und zugleich elementar für eine leistungsfähige Wirtschaft und die Versorgungssicherheit in Deutschland. Nur der Lkw auf der Straße sei dazu in der Lage, die Supermarktregale mit Produkten zu füllen. Im Hinblick auf die Bedeutung der Straße für den Personenverkehr rechnete der Präsident vor, dass die fast 49 Millionen PKW mehr als das Fünffache der Verkehrsleistungen sämtlicher Busse und Bahnen aufnähmen. Dabei seien die Gründe unterschiedlich: Flexibilität, Unabhängigkeit oder fehlende Alternativen. „Wir bekennen uns zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit“, erklärte Oswald. „Doch als Realisten wissen wir, kein anderer Verkehrsträger als die Straße kann auf lange Sicht die Verkehrsmengen bewältigen.“ Verschiedene Studien, unter anderem der von Pro Mobilität beim IW Köln in Auftrag gegebene „Faktencheck Güterverkehr“, kämen zu dem Schluss, dass die Verlagerung nennenswerter Teile des Güterverkehrs auf die Schiene, aufgrund fehlender Kapazitäten nicht möglich sei. Damit könne das Konzept der Verkehrsverlagerung auch keinen wirksamen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehrssektor leisten.
Oliver Rolle, Leiter des Büros des stellvertretenden Ministerpräsidenten bei Vertretung des Landes Baden-Württemberg beim Bund, sprach in seinem Grußwort der Landesregierung Baden-Württemberg, im Hinblick auf die seit 2018 wiederholt in der Landesvertretung von Pro Mobilität durchgeführten Veranstaltungen, von einer „liebgewordenen Tradition“. Pro Mobilität habe sich in den vergangenen Jahren zu einem immer stärker werdenden Anwalt für eine leistungsfähige Infrastruktur entwickelt. Auf diese sei Baden-Württemberg als starker Industriestandort und Exportland in besonderer Weise auf eben diese funktionierenden Infrastrukturen angewiesen. Mit besten Wünschen für den Abend und die Veranstaltung schloss Oliver Rolle in Anlehnung an den Titel der Veranstaltung mit den Worten: „Ohne Straße geht es nicht nur in Baden-Württemberg nicht“.
Der Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr, Oliver Luksic, wies in seiner Rede auf die gestiegenen Ansprüche an die Verkehrspolitik hin. Mobilität müsse effizient und bedarfsgerecht sein, aber auch klimaneutral und gleichzeitig bezahlbar. Leistungsfähige Infrastrukturen seien die Voraussetzung für passgenaue Angebote für Bürger und Wirtschaft und die Wahlfreiheit in den Mobilitätsalternativen. Die vom BMDV vorgestellte Gleitende Langfristprognose zur Verkehrsentwicklung sei eine sachliche, objektive und realistische Sicht auf die Entwicklungen der kommenden Jahre und ein wichtiges Instrument, auf dessen Grundlage die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Sicherstellung eines funktionierenden Verkehrssystems der Zukunft erarbeitet würden. Die vielfach kritisierten Prämissen der Langfristprognose seien bereits sehr schienenfreundlich ausgestaltet und dennoch werde insbesondere der Güterverkehr auf der Straße, aufgrund sich verändernder Güterstrukturen, ein starkes Wachstum erfahren. Wichtig sei es, die Verkehrsträger nicht gegeneinander auszuspielen und Straße, Schiene sowie Wasserstraße bedarfsgerecht auszubauen und zu fördern. Nachdem jahrelang die Finanzierung von Infrastrukturprojekten das größte Hemmnis für eine zügige Sanierung und Modernisierung darstellte, seien es heute vor allem lange Planungs- und Genehmigungszeiträume. Dementsprechend wichtig sei deshalb die Verabschiedung des vom Bundekabinett bereits Anfang Mai beschlossene Genehmigungsbeschleunigungsgesetz. Luksic sprach sich zudem für einen sektorübergreifende Ansatz beim Klimaschutz aus, da sich durch die angestrebten Transformationen im Verkehrs- und Wärmebereich die Emissionen hin zum Strom verlagern. „Wir müssen auf Angebote setzen, nicht auf Verbote im Verkehrsbereich“, so der Parlamentarische Staatssekretär, der damit, zum Abschluss seiner Ausführungen, insbesondere auf die Technologieoffenheit in der Antriebswende Bezug nahm.
„Quo vadis Straße? – Ein Faktencheck“, unter diesem Titel referierte Thomas Puls, Senior Economist für Verkehr und Infrastruktur Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln e.V., anhand anschaulicher Grafiken und Daten über Probleme und Herausforderungen des Straßenverkehrs in Deutschland. Nach Umfragen des IW Köln, würden Infrastrukturmängel heute mehr denn je Geschäftsabläufe von Unternehmen regelmäßig beeinträchtigen. Die Gründe dafür lägen in den stark gestiegenen Verkehrsleistungen, der Überlastung von den gleichen Güterverkehrs-Hauptrouten bei Straße und Schiene, sowie im durch steigende Baupreise negierten Investitionshochlauf. Puls nahm nochmals Bezug auf die Gleitende Langfristprognose, die ebenso wie eine Studie der Agora Verkehrswende von einer deutlichen Steigerung des Güterverkehrs bis 2050, insbesondere auf der Straße, ausgehe. Zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehrssektor sei es nötig, die CO2-Emissionen bis 2030 um 48 Prozent zu senken. Das Potential dieses Ziel durch Verkehrsverlagerung zu erreichen, werde als gering eingeschätzt. Weitaus größere Effekte seinen über die Elektrifizierung der Antriebsstränge, dem Wachsen elektrischer Flotten und der Dekarbonisierung von Kraftstoffen zu erzielen. Langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Infrastrukturprojekten seien noch immer eines der Hauptprobleme für eine zügige Erhaltungs- und Modernisierungsoffensive der Verkehrswege. Es gelte bürokratische Prozesse umfassend zu entschlacken, vor allem im Hinblick auf den Fachkräftemangel u.a. bei Bauingenieuren und in Planungsbüros. Vor dem Hintergrund langjähriger, nicht zielführender, intensiv geführter Debatten, wie über das Tempolimit, stelle sich die Frage, ob wir die Herausforderungen im Verkehrssektor wirklich ernst nähmen.
Zur Präsentation von Thomas Puls
Anschließend an diese Frage moderierte der Geschäftsführer von Pro Mobilität, Christian Funke, eine Gesprächsrunde mit dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses, Udo Schiefner MdB, dem stellvertretende Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ulrich Lange MdB und Thomas Puls vom IW Köln. In der Diskussion führte Udo Schiefner aus, die Koalition wolle an den im Koalitionsvertrag gesetzten Zielen zur Verkehrsverlagerung, zur Senkung der Verkehrsemissionen und der Modernisierungsoffensive bei Schienenwegen und Brücken festhalten. Ullrich Lange plädierte für mehr Realismus in der Verlagerungsdebatte. Dabei gehe es nicht um das Aufgeben von vereinbarten Zielsetzungen, sondern vielmehr um die Berücksichtigung aktueller Studien und Verkehrsprognosen in der verkehrspolitischen Praxis. „Wir werden die Straße immer brauchen“, sagte Udo Schiefner, deshalb verwehre er sich auch der ideologisierten schwarz-weiß Diskussion über den (Nicht-)Nutzen des Straßenverkehrs. Vor dem Hintergrund des weiter steigenden Güterverkehrs auf der Straße und der gesetzten Klimaschutzziele sei es aber erforderlich, diesen Verkehr zu dekarbonisieren. Thomas Puls nahm noch einmal Bezug auf den Fachkräftemangel, den er als größtes Hindernis für eine zügige Modernisierung und die notwendigen Kapazitätserweiterungen der Verkehrsnetze identifizierte. Ullrich Lange nannte die im Genehmigungsbeschleunigungsgesetz festgeschriebenen 144 Autobahnbauprojekte einerseits ein „wichtiges Signal für die Straße“, machte aber gleichzeitig deutlich, dass das „Kriterium des überragenden öffentlichen Interesses, eben nur ein Abwägungskriterium“ sei und damit keines der sowieso bereits im Bundesverkehrswegeplan festgeschriebenen Projekte tatsächlich schneller gebaut werden würde. „Man muss Verkehrspolitik mit den Menschen machen und nicht gegen sie“, so Udo Schiefner, der in der weiteren Beschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, nicht das zielführende Mittel sah. Indem man die Menschen vor Ort frühzeitig in die Planung mit einbezöge, könne man später potenziell auftretenden Stolpersteinen auf dem Weg zur baureife von Projekten vorbeugen.
Vor dem Hintergrund der anstehenden CO2-Differenzierung und der Einführung eines CO2-Aufschlags auf die Lkw-Maut, die zu großen Teilen der Schiene zugutekommen soll, wollte Christian Funke von den Podiumsteilnehmern wissen, wie gewährleistet werden soll, dass das durch den Investitionshochlauf der vergangenen Jahre aufgebaute Vertrauen bei Behörden und Unternehmen nicht enttäuscht wird und diese weiterhin in Maschinen, Kapazitäten und Personal investieren? „Gerade im Hinblick auf die verkehrspolitischen Ziele sollte jeder Spielraum ausgenutzt werden, um langfristige Zusagen in der Infrastrukturfinanzierung zu machen“, sagte Thomas Puls. Der Investitionshochlauf müsse langfristig verstetigt und externe Faktoren wie Inflation sowie Baupreis- und Materialkostensteigerungen in der Finanzplanung berücksichtigt werden. Ullrich Lange warnte vor der Auflösung des Finanzkreislauf Straße durch die Reform der Lkw-Maut zugunsten der Schiene. Damit werde das von früheren Bundesregierungen gegebene Versprechen zur Kalkulierbarkeit der Straßeninfrastrukturfinanzierung in Frage gestellt, was aus seiner Sicht, das falsche Signal für die Straße sende. Auf die abschließende Frage des Moderators Christian Funke nach Möglichkeiten für eine Verbesserung der verkehrspolitischen Debattenkultur und einen stärkeren Fokus auf objektive Fakten, antwortete Thomas Puls, es müsse „der Sprung aus den Fachkreisen in die Öffentlichkeit“ geschafft werden. Es bestehe ein großes Kommunikationsproblem und ein zu geringes Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung, dass die an diesem Abend diskutierten Themen, jeden Einzelnen betreffe. „Wir müssen die Debatte entideologisieren“, sagte Ullrich Lange. Der Großteil der Menschen in diesem Land sei es Leid über Verbote erzogen zu werden. Die Politik müsse gute Angebote schaffen, während es den Menschen selbst überlassen bleiben sollte, für welche der Alternativen sie sich jeweils entschieden.
Im Anschluss an die informativen Redebeiträge wurde der Abend bei anregenden Gesprächen und Diskussionen unter den Gästen ausklingen lassen. Pro Mobilität bedankt sich herzlich bei der Landesvertretung Baden-Württemberg für die Gastfreundschaft sowie allen Rednern, Diskutanten und den zahlreichen Gästen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft für den gelungenen Abend.